Die FDP springt auf das Populismuspferd der Union mit auf und fordert nun auch, geflüchteten Ukrainer_innen den Anspruch auf Bürgergeld zu streichen und sie stattdessen lieber in das Asylbewerberleistungsgesetz zu zwingen. Ich halte das für Unfug.
Kurz zum Hintergrund: Nach Kriegsbeginn haben 2022 die EU-Länder eine Richtlinie aktiviert. Sie legt fest, dass Ukrainer_innen, die in der EU Schutz vor dem Krieg suchen, kein reguläres Asylverfahren durchlaufen müssen, sondern automatisch einen Schutzstatus erhalten. Etwas vereinfacht gesagt hat sich Deutschland dann dafür entschieden, geflüchtete Ukrainer_innen direkt in das Bürgergeld aufzunehmen. Das war eine sehr pragmatische Entscheidung: Dadurch, dass das Bürgergeld vom Bund gezahlt wird, sind die Kommunen entlastet. Außerdem wurde so dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Menge Papierarbeit erspart.
Pragmatisch ist es auch deshalb, weil Ukrainer_innen von Anfang an dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Sie müssen nicht erst monatelang auf eine Genehmigung in Form von Asyl warten, die ihnen letztendlich – Stichwort EU-Richtlinie – ja sowieso zusteht.
Die Kritiker_innen bemängeln die Effizienz dieser Entscheidung und berufen sich auf die Zahl der aktuell in Beschäftigung stehenden Ukrainer_innen in Deutschland, die bei etwa 21 Prozent liegt. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern fällt die Quote tatsächlich etwas niedriger aus; die Niederlande geben an, dass 50 Prozent der dort lebenden ukrainischen Geflüchteten bereits Arbeit gefunden hat. Allerdings ist uns in Deutschland eine nachhaltigere Integration wichtig, anstatt Geflüchtete schnell in kurzfristiger Arbeit oder Zeitarbeitsfirmen unterzubringen. Die Bundesregierung hat im Herbst auch den sogenannten Job-Turbo gestartet, von dem mittlerweile 32.794 Menschen aus der Ukraine in Arbeit gebracht werden konnten. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Und wir haben aus den letzten Jahrzehnten eines gelernt: Gute Sprachkenntnisse und Ausbildung sind viel nachhaltiger als besonders schnelle Arbeitsmarktintegration.
Aber denken wir mal die Idee von Union und FDP zu Ende. Auslöser für diese Debatte war die Aussage von Brandenburgs Innenminister Stübgen (CDU), es passe „(…) nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen und im gleichen Atemzug fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren“. Da tun sich etliche Schwierigkeiten auf: Soll jetzt also eine bestimmte Altersgruppe männlicher Geflüchteter vom generellen Schutz ausgeschlossen werden? Ich bin keine Juristin, aber ich vermute, dass das mindestens fragwürdig, wenn nicht unhaltbar ist. Werden weniger Geflüchtete aus der Ukraine zu uns kommen, wenn sie hier 100 Euro weniger monatlich bekommen? Wird die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt schneller gehen, wenn sie ein monatelanges Asylverfahren durchlaufen? Wohl kaum.
Ich halte diese Debatte für populistisches Wahlkampf-Gedöns. Die AfD hat sich bereits darüber beschwert, dass ihnen die Parolen geklaut wurden. Ja, das Ergebnis der Europawahl war für alle Demokrat_innen erschreckend – aber muss das wirklich sein?
Danke für diesen Beitrag, die Erläuterungen und Stellungnahme.
Von Anfang an habe ich es für sinnvoll gehalten, die Menschen aus der Ukraine, die 2022 vor einem entsetzlichen Krieg geflüchtet sind, mit dem Arbeitslosengeld II und ab 2023 mit dem neu gestalteten Bürgergeld zu versorgen. Es wäre aberwitzig gewesen, ein individuelles Asylverfahren zu verlangen mit entsprechenden Folgen für das BAMF und die Verwaltungsgerichte. Für die Arbeitsagentur und die Jobcenter war dies ebenfalls schwierig; aber sie haben doch auch etwas mehr Kapazitäten und ein vergleichsweise deutlich weniger aufwändiges Verfahren.
Soweit also Oppostionsparteien oder auch die Koalitionspartei eine Umstellung des Verfahrens fordern, müssten sie doch darlegen, wie dies zu finanzieren wäre, ohne Länder und Kommunen noch weiter zu belasten und die betroffenen Menschen in kafkaeske Verfahren zu verweisen.
Die Vorhaltung, die Bundesrepublik würde „fahnenflüchtige Ukrainer alimentieren“, finde ich völlig verfehlt. Wir gedenken gerade dem 75-jährigen Bestehen unseres Grundgesetzes. In einigen Beiträgen wurde gefragt, was ist das Grundrecht, der Artikel, der Ihnen besonders wichtig ist? Persönlich schätze ich alle Grundrechte. In diesem Zusammenhang nenne ich Artikel 4, Absatz 3:
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Dieses Grundrecht ist nach den Kriegsverbrechen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches mit guten Gründen an prominenter Stelle des Grundrechtskataloges formuliert worden. Darin steht nicht etwa, „‚kein Deutscher‘ dürfe gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Es heißt vielmehr: „Niemand … “ Und dieses klare „Niemand“ bedeutet nach meiner Auffassung auch kein Ukrainer, Russe oder anderer.
Somit komme ich zurück auf das Bürgergeld, die Kampagne einiger Oppositionsparteien, der hoffentlich eine Koalitionspartei nicht erliegen wird. Diesen rufe ich zu: Beendet diese Polemik gegen Schwache und Schwächste! Bringt nachhaltige Initiativen ein für eine gerechte Besteuerung der Super-Reichen sowie der gobalen Portal-Unternehmen!
Danke, gute Wünsche und Grüße