Migration: Parolen oder Lösungen?

Nach mehreren schrecklichen Verbrechen – zuletzt Aschaffenburg – ist die Migrationspolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückt (worden). Mir geht es um eine Debatte, die jetzt leider kaum geführt wird: Was ist machbar und sinnvoll?

Mir geht es heute nicht darum, Friedrich Merz wegen seines gebrochenen Versprechens zur Zusammenarbeit mit der AfD zu beschimpfen. Viel wichtiger ist mir: Welche Vorschläge in der Migrationspolitik sind eigentlich sinnvoll? Sind Wut und Trauer gute Ratgeber für Gesetze? Zunächst geht es in der aktuellen Debatte nicht mal wirklich um Gesetze. Und auch nicht um Aschaffenburg. CDU und CSU haben nur zwei symbolische Anträge eingebracht, die keine Rechtswirkung haben. Und einen Gesetzentwurf, der abgesehen von einiger Prosa nur eine spürbare Forderung hat: Den Familiennachzug zu begrenzen.

Folgenlose Symbolpolitik

Die Unionsparteien fordern die Abweisung an den Grenzen. Das wäre ein Abschied davon, dass Deutschland Menschen schützt, die in ihrer Heimat in Gefahr sind (zum Beispiel aktuell in der Ukraine). Und das widerspricht dem EU-Recht, wäre rechtlich also nicht lange haltbar.

„Dann muss man halt die EU-Regel ändern!“, wäre die Antwort von Friedrich Merz, falls er hier mitlesen würde. Dazu ist zu sagen: Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen ist Parteikollegin von Friedrich Merz. Im europäischen Parlament stellen die Christdemokraten die größte Fraktion. Warum ändern sie das Europarecht also nicht einfach? Die Antwort ist: Weil die europäische Asylreform bereits beschlossen ist und nächstes Jahr vollständig in Kraft tritt. Dafür haben Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sich erfolgreich eingesetzt. Horst Seehofer (CSU) war als Innenminister übrigens daran jahrelang gescheitert.

Mit der europäischen Asylreformsoll der Schutzbedarf künftig an der EU-Außengrenze geprüft werden. Schutzbedürftige sollen in der EU fair verteilt werden. Ohne Schutzbedarf soll es keine Einreise mehr in die EU geben. Die Verfahren sollen erleichtert werden: Wer zum Beispiel in Polen Schutz gefunden hat, aber trotzdem weiterreist nach Deutschland, kann leichter zurückgeführt werden. Gerade diese so genannten Dublin-Überstellungen werden mit der Reform erheblich erleichtert – zugunsten der Ordnung im System.

Die Probleme der (Landes-)Behörden, die bisherigen Regeln umzusetzen, waren ein wesentlicher Grund dafür, dass die Straftäter in Solingen und Aschaffenburg überhaupt noch hier waren. Die SPD will eine Reform in Deutschland gerne noch vor der Neuwahl umsetzen. Da kam uns erst die FDP dazwischen mit ihrem D-Day. Und jetzt das „Nein“ von CDU und CSU. Genau. Friedrich Merz lehnt die Umsetzung vor der Neuwahl ab. Warum auch Probleme real angehen, wenn man stattdessen 5-Punkte-Papiere der staunenden Öffentlichkeit mit markigen Worten präsentieren kann?

Würde Bundeskanzler Olaf Scholz sich nun die Vorschläge von Friedrich Merz aneignen, wäre das wohl ein Beitrag, dass Europa auseinandergeht und damit schwächer wird. In Zeiten von Donald Trump und eines russischen Angriffs in Europa wäre das vermutlich nicht die beste Idee. „Mir egal!“ könnte jetzt jemand denken. Problem: Auch die EU-Asylreform würde in Frage gestellt. Also genau die Reform, die konkret die Probleme angeht, die der Merz-Vorschlag zwar nennt, aber nicht löst. Das wäre schon ziemlich verrückt, falls es um die Sache gehen sollte!

Und die Machbarkeit?

Wovon ich noch gar nicht gesprochen habe, da der Antrag von CDU/CSU ja ohnehin kein reales Gesetz ist und von Gerichten gestoppt würde, wenn er ein Gesetz wäre und real umgesetzt würde … puh! Also: Die flächendeckende Rückweisung an den Grenzen ist angesichts von 3.800 Kilometern Binnengrenzen nicht umsetzbar. Schon gar nicht schnell. Das sage nicht nur ich, sondern auch die Gewerkschaft der Polizei. Erstmal bräuchte man 8.000 bis 10.000 neue Bundespolizistinnen und -polizisten. Selbst wenn sich jetzt sofort so viele Interessierte finden würden, müssten diese erst 2 bis 3 Jahre lang ausgebildet werden. Sie stünden frühestens bereit, wenn die EU-Asylreform schon längst gilt und das Problem der ungeordneten Binnenmigration innerhalb der EU bereits angegangen wurde.

Zum Schluss noch zum einzigen Punkt, den CDU und CSU real gesetzlich jetzt neuregeln wollen: Es geht konkret um den Familiennachzug derjenigen Menschen, die zum Beispiel vor einem Krieg geflohen sind und deswegen als Schutzberechtigte in Deutschland anerkannt sind und bleiben dürfen. Sie sollen nach Wunsch der Union keine Kernfamilie (Ehegatte, Kinder) mehr nachholen dürfen, die sich noch im Kriegsgebiet befindet oder im Nachbarland ausharrt. Aktuell gibt es ein Kontigent von maximal 1.000 Visa im Monat, mit denen ein solcher Familiennachzug erlaubt ist. Es geht also um maximal 12.000 Menschen im Jahr, vor allem Frauen und Kinder. Was das mit Terror und Gewalt in Deutschland zu tun hat? Nichts.

Die wirkliche Lösung von Problemen funktioniert selten sehr schnell und selten mit zwei, drei knalligen Überschriften oder Pressekonferenzen. Sie ist harte Arbeit und erfordert jemanden – wie Olaf Scholz – der Probleme real lösen will. Und nicht jemanden, der sie zum eigenen Vorteil nutzen möchte.