Nicht der Sozialstaat ist das Problem!

Würde die Wirtschaft wieder kräftig brummen, wenn man nur kräftig genug beim Sozialstaat kürzt? Nein!

Und ähnlich gelagerte Fragen schließen sich an: Ist das Bürgergeld ein Hauptproblem für die wirtschaftliche Entwicklung? Haben viele Menschen ihren Job gekündigt, um vom neuen Bürgergeld in „Saus und Braus“ zu leben? Nein! In Wirklichkeit haben wir in Deutschland derzeit Rekordbeschäftigung. Noch nie seit der Wiedervereinigung waren so viele Menschen erwerbstätig.

Das heißt nicht, dass es beim Bürgergeld keine Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Es wäre aber einfach die falsche Antwort, das neue Prinzip des Bürgergeldes zu streichen: Nämlich, dass wir jetzt ausgemusterte Ingenieure nicht mehr in den erstbesten Hilfsjob vermitteln, sondern einen Fokus auf Fort- und Weiterbildungen, Zusatzqualifikationen oder auch Umschulungen setzen. In vielen Fällen geht es gerade bei jungen Menschen auch darum, erstmal einen Schul- oder Berufsabschluss nachzuholen. Denn ohne wird eine Vermittlung schwer.

Mir geht es aber nicht nur um das Bürgergeld. Ich bin genervt, wenn ich wieder höre „wir brauchen mehr Wettbewerbsfähigkeit“. Und millionenschwere TV-Moderatoren bei Quadrellen den Eindruck erwecken, als seien Rentenkürzungen unausweichlich. Natürlich dürfen die Sozialversicherungsbeiträge nicht unendlich steigen. Das tun sie auch nicht. Das richtige Mittel ist aber nicht mehr „eigenverantwortlichen Vorsorge“ bei Pflegebedürftigkeit (CDU/CSU-Wahlprogramm). Das richtige Mittel sind mehr Kitas und Ganztagsschulen, damit mehr Eltern arbeiten können. Fort- und Weiterbildung auch im Alter, damit Ältere nicht vorzeitig aussortiert werden. Und Fachkräftezuwanderung angesichts der älter werdenden Gesellschaft. Mit diesem Mix – also durch mehr Einzahlende – haben wir es schon geschafft, dass die Rentenbeiträge heute niedriger sind als vor zehn Jahren.

Dass der Sozialstaat nicht die Ursache für die aktuelle wirtschaftliche Schwäche ist, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Das ist ein Problem. Denn falsche Analysen führen zu falschen „Lösungen“. Es ist keine Quantenphysik, dass es Probleme gibt, wenn ein Industriestaat sich mit billigem, russischem Gas versorgt und das billige Gas dann plötzlich weg ist. Die Lösung für die Probleme kann also nicht sein, zum Beispiel das Rentenniveau zu senken oder das Bürgergeld zu streichen. Dadurch hätten wir nicht plötzlich billige Energie für unsere Industrie. Also einfach zurück zum Gas aus Russland, wie es AfD, BSW und etwas verklausulierter auch die Linke wollen? Wäre aus meiner Sicht alleine schon deswegen wahnsinnig, weil wir Putin die Gelegenheit geben würden, uns den Gashahn erneut nach Belieben auf- und zuzudrehen. Zur Erinnerung: Es gibt kein Gasembargo. Er hat uns den Gashahn zugedreht, weil wir seinen Angriffskrieg in Europa nicht unterstützen.

Es kann nicht im Sinne Deutschlands sein, in Abhängigkeit zurückzukehren. Im Gegenteil: Wir müssen unabhängiger werden, damit wir weniger Energie teuer importieren müssen. Das verursacht erstmal Kosten, weil das Energienetz im Land umgebaut werden muss. Für diesen Übergang müssen wir die Energiepreise stützen – zugunsten sowohl der Industrie als auch der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir brauchen mehr Wettbewerbsfähigkeit bei den Energiepreisen. Dazu muss der Staat investieren in eine moderne Infrastruktur, auch für die Energienetze. Deswegen braucht es den 100 Milliarden Euro schweren Deutschlandfonds der SPD für Investitionen und eine Reform der Schuldenbremse. Letzteres fordern sogar die Wirtschaftsweisen!

Es braucht eine politische Mehrheit für Krisenpolitik und eine Reform der Schuldenbremse als Grundlage dafür. Eine Stimme für Sozialkürzungen braucht dagegen niemand!