Wenn Haltung zur Zielscheibe wird – Der Fall Frauke Brosius-Gersdorf und was er über unsere Demokratie verrät

Die gescheiterte Richterwahl vom vergangenen Freitag ist medial omnipräsent. Allerdings muss ich sagen: Es ist ein Skandal, wie eine fachlich brillante Frau durch eine Schmutzkampagne zur Zielscheibe werden kann, dass sie und ihre Mitarbeiter_innen und Unterstützer_innen so einer Welle an Drohungen ausgesetzt sind.

Ich fasse mal kurz zusammen: Das rechte Medium Apollo News tritt die Kampagne mit Falschbehauptungen über Frauke Brosius-Gersdorfs Standpunkte los. Rechtspopulistische Medien wie NIUS greifen die Hetze auf, mischen noch ordentlich mit und füttern den Hass. Ein „Plagiatsjäger“ bespickt das Ganze mit Plagiatsvorwürfen, AfD-Politiker:innen stürzen sich darauf. Einzelne Persönlichkeiten aus der katholischen Kirche springen auch noch mit ins Boot und Politiker_innen der Union werden mit einer Flut an Mails überschüttet, die Frau sei als linke Aktivistin unwählbar. Max Mannhart, Chefredakteur des Magazins Apollo News, Julian Reichelt, NIUS-Chefredakteur, und selbsternannter „Plagiatsjäger“ Stefan Weber, Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein – alte Kumpels. Eine Handvoll Männer, die die Karriere einer Frau beschädigen wollen.

Die Behauptungen über Frauke Brosius-Gersdorfs angebliche Haltungen zu Schwangerschaftsabbrüchen sind hanebüchen. Ich werde auch hier nicht ins Detail gehen, aber sie hat sich in ihrem Wissenschaftsfeld, der Rechtswissenschaft, ausgiebig mit dem Thema auseinandergesetzt und diskutiert in ihrer Funktion (Professorin, Mitglied der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin) ein verfassungsrechtliches Dilemma. In dem Rechtsgutachten, das auf der Seite des Bundesjustizministeriums erschienen ist, geben die Expert_innen keine Position ab. Wissenschaft wird zerrissen und scheint nichts mehr wert zu sein. Die Plagiatsvorwürfe haben sich in kürzester Zeit wieder in Luft aufgelöst. Aber die Welle ist ausgelöst, der Streit über ihre Personalie entfacht, die Lügen über sie überschatten ihre Expertise.

Was bedeutet das für unser demokratisches System? Es zeigt, wie leicht politische Karrieren heute durch gezielte Kampagnen beschädigt werden können. Wie wissenschaftliche Expertise zur Projektionsfläche ideologischer Kämpfe gemacht wird. Und wie sehr der Druck auf unabhängige Institutionen in den letzten Jahren gestiegen ist. Wenn Menschen, die fürs höchste Gericht vorgeschlagen werden, sich gegen Desinformation und persönliche Angriffe verteidigen müssen, statt für ihre juristische Qualität gehört zu werden, dann steht mehr auf dem Spiel als eine einzelne Personalie.

Gerade beim Bundesverfassungsgericht geht es um mehr als politische Mehrheiten – es geht um Vertrauen, um Unabhängigkeit, um die Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung komplexer Fragen. Brosius-Gersdorf steht für genau diese Qualitäten – das unterstreichen auch über 300 Wissenschaftler_innen, die sich in einem offenen Brief solidarisch mit ihr zeigten.

Hinzu kommt: Diese Kampagne war nicht geschlechtsneutral. Es ist kein Zufall, dass eine Frau, die sich mit Fragen reproduktiver Selbstbestimmung auseinandersetzt, so ins Visier gerät. Es ist kein Zufall, dass vor allem Männer – von Reichelt bis Weber – die Öffentlichkeit mit Unterstellungen fluten. Frauen, die sich für diejenigen Rechte einsetzen, die den eigenen Körper betreffen, stören die patriarchale Ordnung. Sie sind unbequem. Und damit besonders angreifbar.

Die Causa Brosius-Gersdorf zeigt uns auf bedrückende Weise, wie strategisch rechte Netzwerke Desinformation einsetzen, um Institutionen zu delegitimieren und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Vertreter der Kirche und Teile der Union haben sich – ob bewusst oder nicht – vor diesen Karren spannen lassen.

Statt jetzt voreilig über die Stabilität der Koalition zu spekulieren, sollten wir uns einer wichtigeren Frage widmen: Wie verhindern wir solche Kampagnen in Zukunft? Wie schützen wir Wissenschaftler_innen und Angehörige anderer Berufsgruppen vor digitalem Rufmord? Wie stärken wir unsere Demokratie gegen gezielte Angriffe auf ihre Institutionen? Es geht hier nicht nur um Frauke Brosius-Gersdorf. Es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft mit Haltung, mit Differenzierung und mit verfassungsrechtlicher Analyse umgehen. Und ob wir zulassen, dass eine kleine, laute Minderheit mit Lügen und Hass bestimmt, wer in Deutschland als würdig gilt, ein öffentliches Amt zu bekleiden.