Schlagwörter

, ,

Tunesisches ParlamentVor kurzem habe ich mit VertreterInnen der tunesischen Ennahda-Partei gesprochen. Diese bezeichnen sich doch tatsächlich als die CSU Tunesiens. „Wie bitte?“, war meine erste Reaktion. Aber im Gespräch konnte ich das dann schon nachvollziehen. 

In meinen beiden Arbeitsgruppen bin ich zuständig für die Maghreb-Staaten, außerdem bin ich Vorsitzende einer Parlamentariergruppe für diese Region. Daher suche ich immer wieder das Gespräch mit ParlamentarierInnen aus Marokko, Tunesien und Algerien. Letzte Woche traf die Maghrebgruppe eine Abordnung der tunesischen Ennahda-Partei in Berlin.

Exkurs: Was ist die Ennahda-Partei?

Die Ennahda-Partei wurde 1981 gegründet. Sie ging aus einer Bewegung der 1970er Jahre hervor, die im stark säkularisierten Tunesien islamische Werte erhalten wollte. 1987 wurde der Ennahda-Vorsitzende Ghannouchi inhaftiert, unter der Ben-Ali-Diktatur war Ennahda verboten. Seit dem Arabischen Frühling ist die Partei in Tunesien als „gemäßigt islamistische“ Partei tätig. Sie wurde bei den ersten freien Wahlen nach Ben Ali 2011 stärkste Partei, nach den letzten Wahlen zweitstärkste Partei und stellt in der aktuellen Regierung einen Minister.

Ennahda schreibt sich „islamisch-sozial“ auf die Fahnen

Im Gespräch wurde also seitens meiner tunesischen GesprächspartnerInnen behauptet, man sei so etwas wie die CSU in Deutschland. Letztere berufe sich auf das Christentum und wolle christliche Werte innerhalb der deutschen Demokratie bewahren bzw. voranbringen. Ennahda beruft sich auf den Islam und dessen Werte, die sie in die tunesische Demokratie einspeisen möchte. Insofern ist das mit der „CSU Nordafrikas“ wohl wirklich nicht so weit hergeholt. Wobei ich mir hier die Bemerkung einfach nicht verkneifen kann, dass natürlich die Kirchen die CSU letzthin auch deutlich kritisiert haben, als es um die Flüchtlingspolitik ging, wie hier oder hier nachzulesen ist. Ich schweife ab, zurück zum Thema. Die Union vertritt in Deutschland mittlerweile auch konservative Muslime. Die Ennahda-VertreterInnen haben mir versichert, dass sie zum Beispiel auch die jüdische Gemeinde in Tunesien vertreten möchten. Diese Aussage hätte ich einer „gemäßigt islamistischen“ Partei nicht zugetraut.

Was halte ich von dieser Partei?

Nun ja. Ich stimme inhaltlich mit vielem nicht überein. Aber die Partei trägt, das hat sie in den letzten Jahren gezeigt, die Demokratie in Tunesien mit. Sie beruft sich stets auf die friedliche Bewandtnis des Islam, verurteilt Extremismus, Dschihadismus und Terrorismus aufs Schärfste. Auf der anderen Seite fühlen sich gläubige MuslimInnen durch Ennahda vertreten. Ich vermute, dass diese Tatsache der weiteren Demokratisierung Tunesiens helfen und Radikalisierung junger Menschen verhindern kann.

Dass es viel zu viele IS-Kämpfer aus Tunesien gibt, steht nochmal auf einem anderen Blatt. Ein Bericht des Europarats hat gezeigt, dass keineswegs religiöse Verwurzelung förderlich für die Radikalisierung ist, sondern eher Ausgrenzung und Mangel an Identität und Perspektiven.

Werbung